Das Dorfleben, das sie aus ihrer Kindheit kannten, war ihnen zu eng, die Stadt, in der sie Arbeit fanden, zu anonym. Was tun? Willi Wagner und seine Frau Hanne Schäfer entschieden sich dafür, mit Gleichgesinnten die Art des Wohnens zu ermöglichen, nach der sie sich sehnten: in einer großen Gemeinschaft, in der man die Nachbarn kennt und sich gegenseitig unterstützt. Die Darmstädter Bau- und Wohngenossenschaft war genau das, was die Eltern von drei Pflegekindern suchten. Insgesamt 80 Personen leben dort auf 2.900 Quadratmetern Wohn- und 300 Quadratmetern Gemeinschaftsfläche. 22 von ihnen sind Kinder unter 18 Jahren. Eine Mischung, die bewusst angestrebt war.
Gewollte Vielfalt
"Wir haben uns Quoten gesetzt", erklärt Winkler, der auch Mitglied des Aufsichtsrats von WohnSinn ist. So ist mit zwei Dritteln der Wohnungen ein Dauerwohnrecht verbunden, ein Drittel hat die Baugruppe mit Kreditunterstützung von Land und Kommune als Sozialwohnungen gebaut. Der Grund: "Wir wollten einen Querschnitt durch Arm und Reich bilden." Im ersten Konzept fehlte allerdings die gesellschaftliche Mitte jener Menschen, die zwar keine Sozialhilfe beziehen, sich aber keine Eigentumswohnung leisten können. Deshalb wurde direkt eine weitere Einheit gegründet, an deren Finanzierung sich die Mieter beteiligen konnten.
Neben der Wirtschaftskraft spielen in den barrierefreien Häusern auch Alter, Familienstand, Herkunft und Behinderung eine Rolle bei der Auswahl neuer Mitglieder. Die Bewerberliste ist lang, denn viele Städter sehnen sich nach dieser besonderen Form der Gemeinschaft.
Jeder hat auch Pflichten
Wie stark sich der Einzelne dann tatsächlich integriere, sei sehr unterschiedlich, erzählt Wagner. Die Möglichkeiten dafür sind zahlreich: Bewohner halten Vorträge, berichten von Reisen, treffen sich zur Englisch-Konversation, zur Meditation oder einmal pro Woche im Bistro, wo sie, wie Wagner es beschreibt, "den Nachbarn mal mit mehr Zeit treffen, als wenn er morgens ins Auto steigt und ins Büro fährt". Wer sich gut versteht, passt auf die Kinder des anderen auf, erledigt einen Einkauf oder kümmert sich um einen pflegebedürftigen Mitbewohner ohne Angehörige.
Doch die Darmstädter Insel der Seligen verlangt ihren Mitgliedern auch Pflichten ab: Arbeiten eines Hausmeisters, Hausverwaltung, Reinigung der Gemeinschaftsflächen – all diese weniger freudigen Aufgaben werden ebenfalls gemeinsam gestemmt. Streng nach Plan. "Oft lasse ich für mich arbeiten, manchmal muss ich selbst ran“, hebt Wagner den Vorteil dieser Arbeitsteilung hervor. Und bei so vielen Tabellen darf natürlich auch eine Liste der Geburtstage nicht fehlen. Wer so integriert ist wie Willi Wagner, kann deshalb gar nicht genug Kuchen backen für alle Gratulanten. Mit einem Zwinkern verrät Wagner seine Lösung: "Ein Glas Sekt wird auch gerne genommen."