Engagement über Alters - und Ländergrenzen hinweg

 

 

In der baden-württembergischen Stadt Offenburg haben sich 60 ältere Menschen organisiert, um ausländischen Studenten das Eingewöhnen in ihre neue Umgebung zu erleichtern. Der Senior Service steht den Studierenden mit Rat und Tat zur Seite und bietet ihnen ein vielfältiges Freizeitprogramm an.

Mit knapp 60.000 Einwohnern weit davon entfernt, eine Großstadt zu sein, hat Offenburg im Ortenaukreis allerdings eine eigene Hochschule für Technik, Wirtschaft und Medien. Etwas mehr als 3.000 Studenten sind dort eingeschrieben, etwa 300 von ihnen sind ausländische Gaststudenten. Sie kommen aus allen Teilen der Welt, um in Offenburg ein oder zwei Semester zu verbringen: aus Südamerika und Afrika, aus Russland, aus China und Indien. Weit weg von zuhause, in völlig fremder Umgebung, ist es für sie nicht immer leicht, sich zurechtzufinden. Die Frauen und Männer vom Senior Service wissen das. Sie bieten den Studenten ihre Hilfe an, erleichtern den Zugang zur deutschen Kultur und Sprache - und das bereits seit dem Jahr 2002. Damals wurde in enger Kooperation zwischen Hochschule, Seniorenbüro und ehrenamtlichen Mitarbeitern das in Deutschland einmalige Konzept einer Betreuung ausländischer Studenten durch ältere Bürger der Stadt entwickelt.

Vor etwas über einem Jahr hat Franz Roser, Ingenieur im Vorruhestand, den Vorsitz des Senior Service übernommen. "Ich wollte nicht einfach aus der Vollbeschäftigung in die Rente gehen und sagen: So, das war’s jetzt", beantwortet Roser die Frage, wie er zu seinem Engagement kam. "Ich hatte ein bisschen Angst, in ein Loch hineinzufallen, und habe mich dann relativ früh entschieden, nach einem Ehrenamt zu suchen. Die Idee war, im Seniorenbüro der Stadt Offenburg nachzufragen. Dort wurden mir verschiedene Möglichkeiten angeboten. Der Senior Service hat mir schnell zugesagt." Dass ihm bereits nach kurzer Zeit als "einfaches Mitglied" der Vorsitz angeboten wurde, hat Roser selbst überrascht. Er nahm und nimmt diese "Beförderung" mit Humor: In meinem Beruf musste ich immer arbeiten, um Karriere zu machen. Hier habe ich erst einmal Karriere gemacht - jetzt muss ich beweisen, dass ich es kann."

Ein erster Kontakt in gemütlicher Runde

Der Senior Service betreut etwa die Hälfte der ausländischen Gaststudenten der Hochschule Offenburg. "Wir fühlen uns im Wesentlichen für die Master-Studenten zuständig", sagt Roser. "Die haben zum Teil schon als Ingenieure gearbeitet, haben Geld verdient und gespart, um den Abschluss in Deutschland zu machen. Sie wissen genau, was sie wollen." Diese Studenten macht die Hochschule bereits auf ihren Internetseiten auf das Angebot aufmerksam. Zu Beginn des Semesters organisieren Mitglieder des Senior Service in Kooperation mit der Hochschule ein sogenanntes "Get together", ein zwangloses Treffen in gemütlicher Runde mit dem Ziel, sich kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und weitere Treffen auszumachen.

Hilfe bei Problemen

Warum nehmen die Studenten den Service in Anspruch? Roser, selbst Vater von vier Kindern, erklärt sich das so: Die Master-Studenten wären über das Alter hinaus, in dem man jenseits des Studiums vor allem an die Diskothek denke. "Sie haben ein echtes Interesse, das Land kennenzulernen und unsere Angebote zu nutzen", sagt er. "Sie nutzen einfach die Möglichkeit und sind stolz darauf, dass sie Kontakte haben zu Menschen in Deutschland, über die Schule, die Ausbildung hinaus. Für sie ist das ein besonderes Erlebnis, in andere Familien hineinzukommen." Fern von zuhause, wo der Familienverband normalerweise relativ eng sei, fänden sie in Deutschland Anschluss an andere Familien, könnten teilnehmen am Leben in Deutschland. "Das ist - glaube ich - das, was für sie interessant ist." Und natürlich wüssten die Studenten auch immer: Wenn sie ein Problem haben, haben sie im Senior Service einen Rückhalt. Wobei die Bandbreite der Probleme, bei denen geholfen wird, groß ist: Der Senior Service, so Roser, unterstützt "seine" Studenten bei Terminen im Ausländeramt. Er kümmert sich aber auch um die kleinen Probleme des Alltags, die der Fortbewegung zum Beispiel: Vor Kurzem wurden zwölf gebrauchte, gut erhaltene Fahrräder besorgt, um sie den Studenten zur Verfügung zu stellen.

Gemeinsam die Umgebung erkunden

Der Senior Service als Ansprechpartner bei Problemen, das ist die eine, vielleicht die wichtigste Aufgabe des Projektes. Aber es gibt auch ein buntes Freizeitprogramm, bei dem die ausländischen Studenten ihre südwestdeutsche Umgebung mit den Augen der Einheimischen entdecken können. Franz Roser berichtet von gemeinsamen Wanderungen im Schwarzwald und von einer Fahrt ins elsässische Straßburg. Je nachdem, wie gut man sich verstehe, entwickelten sich auch persönliche Kontakte zwischen einzelnen Studenten und Senior Service-Mitgliedern. Und so organisiert man dann zum Beispiel auch gemeinsame Feste. Roser erzählt in diesem Zusammenhang von einer Studentin aus Bangladesch, die unbedingt ihren Geburtstag feiern wollte, dafür aber keinen Platz hatte. Die Lösung war Rosers Garten, in dem die Feier schließlich stattfand. Anderes "Problem", ähnliche Lösung: "Ich habe im Moment sehr engen Kontakt zu indischen Studenten", sagt der ehemalige Ingenieur. "Für die haben wir hier im Haus Cricket-Tore gebaut, damit sie spielen können." Im Gegenzug laden die indischen Studenten das Ehepaar Roser auch schon einmal zum Essen ein.

"Weicher Wirtschaftsfaktor"

Mit Franz Roser und dessen Frau Lucia sind im Senior Service im Augenblick etwa 30 Ehepaare tätig. Die Menschen, die sich dort engagieren, sind im Mittel über 60 Jahre alt und waren beziehungsweise sind in den unterschiedlichsten Branchen tätig. Was sie verbindet, ist laut Roser, dass sie Interesse haben, mit Jugendlichen zusammen zu sein, und dass sie den Wunsch haben, andere Kulturen kennenzulernen und die eigene weiterzugeben. Viele von ihnen waren während ihres Berufslebens selbst eine Zeit lang im Ausland tätig. Was sie in ihrem Ehrenamt leisten, kommt nicht nur den Studenten, sondern auch der Stadt Offenburg und ihrer Hochschule zugute. "Der Senior Service", so heißt es in einem Papier des zuständigen Seniorenbüros Offenburg, "gilt auch als ,weicher Wirtschaftsfaktor‘. Die Studierenden nehmen den guten Namen der Stadt mit in alle Teile der Welt. Wenn später in Singapur, St. Petersburg oder Peking Aufträge vergeben werden, dann knüpfen die Hochschulabsolventen in diesen Ländern oft an die bestehenden Verbindungen in der Ortenau an." Nicht zuletzt aber profitieren auch die ehrenamtlichen Mitglieder des Senior Service selbst von ihrem Engagement: "Wir haben", so Roser, "als Mitglieder des Senior Service nicht nur das Glück, mit Studenten aus aller Welt zusammenzukommen, ihnen Freund und Partner zu sein. Wir haben auch das Glück, dass unter den Mitgliedern viele Freundschaften entstanden sind."

Diesen und weitere Berichte über das Engagement älterer Menschen finden Sie im Internetangebot der Initiative „Erfahrung ist Zukunft“. Die Initiative wurde 2006 als Antwort auf den demografischen Wandel in Deutschland von der Bundesregierung zusammen mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft ins Leben gerufen. Die Initiative will die Herausforderungen des demografischen Wandels bewusst machen und für ein neues Bild des Alters und des Alterns werben. "Erfahrung ist Zukunft" will die Perspektiven und Potenziale einer älter werdenden Gesellschaft auf den Handlungsfeldern Arbeitswelt, Bildung, Engagement und Alltag aufzeigen, gemeinsam die notwendigen Veränderungen voranbringen und die Chancen für unser Land aufzeigen.

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